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  • AutorenbildStefan Palaschinski

Erleichterte Beschlussfassungen im Gesellschaftsrecht

Im Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht sind zeitlich begrenzte Ausnahmeregelungen für die Beschlussfassungen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrechts vorgesehen. Wie lassen sich „virtuelle“ Versammlungen und Beschlussfassungen auf elektronischem Weg durchführen, wenn Satzung oder Gesellschaftsvertrag dazu keine Regelungen enthalten?



Die Ausgangslage

Grundsätzlich geht das gesetzliche Leitbild bei der Beschlussfassung von einer Präsenzversammlung aus. Die Gesellschafter oder Mitglieder der betreffenden Vereinigung kommen im Rahmen von Versammlungen zusammen, um sich zu entscheidungsnotwendigen Punkten auszutauschen und abzustimmen. Begleitet werden diese Stimmrechte durch das Antrags- und das Rederecht.

Nicht nur in Krisenzeiten ergeben sich allerdings Situationen, in denen eine solche Präsenzversammlung unter Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Ladungsfristen unzweckmäßig ist. Dies betrifft nicht nur kurzfristig gebotene Klärung bestimmter Sachverhalte. Allein schon (zeitlich begrenzte oder dauerhafte) Ortsabwesenheiten einzelner Betroffener sprechen für alternative Abstimmungswege.

Während zunächst nur der Ausweg über das schriftliche Beschlussverfahren gewählt wurde, gewinnen angesichts der fortschreitenden technischen Möglichkeiten elektronische Verfahren wie Telefon- und Videokonferenzen, Beschlussverfahren mittels E-Mail zunehmend an Bedeutung.

Hierfür bedarf es aber grundsätzlich einer Grundlage im Gesellschaftsvertrag oder der Satzung.

In der aktuellen Situation sind die Versammlungsmöglichkeiten zum Schutz vor Ansteckung und zur Vermeidung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie stark beschränkt bzw. ausgeschlossen. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit von Unternehmen und anderen Zusammenschlüssen. Sofern diese Gesellschaften oder Vereinigungen nicht vorher schon alternative Beschlussfassungsmöglichkeiten in den Statuten verankert haben, sind sie teilweise nicht mehr in der Lage, auf herkömmlichem Weg Beschlüsse auf Versammlungen der entsprechenden Organe herbeizuführen.


Dies gilt für die üblicherweise jährlich stattfindenden ordentlichen Versammlungen, in denen vielfach die Feststellung des Jahresabschlusses, die Beschlussfassung über die Gewinnverwendung aber auch die Bestellung von Organen und deren Entlastung erfolgt. Ebenso betrifft dies aber auch Versammlungen, die möglicherweise gerade jetzt aufgrund der besonderen Situation existenziell erforderlich sind und auf denen besondere Entscheidungen, zum Beispiel zu notwendigen Kapitalisierungsmaßnahmen oder dringende Personalentscheidungen getroffen werden müssen.

Mit zeitlich beschränkter Wirkung (d.h. im Wesentlichen für die im Jahr 2020 stattfindenden Versammlungen) sind daher zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit für verschiedene Gesellschafts- und Vereinigungsformen Erleichterungen für die Beschlussfassungen geschaffen worden und zwar für die Fälle, in denen die Voraussetzungen im Gesellschaftsvertrag oder Satzung dafür nicht vorliegen.


Hauptversammlung

In der AG, der KGaA und der SE kann der Vorstand der Gesellschaft auch ohne Satzungsermächtigung oder Festlegung in der Geschäftsordnung eine Online-Teilnahme an der Hauptversammlung ermöglichen, Anfechtungsmöglichkeiten der Beschlussfassungen wurden eingeschränkt, die Einberufungsfrist kann auf 21 Tage verkürzt werden, eine Hauptversammlung kann innerhalb des Geschäftsjahres durchgeführt werden und der Vorstand ist derzeit ermächtigt, auch ohne Satzungsregelung Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn vorzunehmen. Erforderlich für die Online-Hauptversammlung ist allerdings die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung. Den Aktionären muss die Stimmrechtsausübung über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie die Vollmachtserteilung ermöglicht und eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt werden. Den Aktionären, die ihr Stimmrecht auf diese Weise ausgeübt haben, muss zudem in Abweichung von § 245 Nummer 1 des Aktiengesetzes unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt werden.


Beschlussfassung im Umlaufverfahren Für die GmbH wurde die erleichterte Möglichkeit einer Beschlussfassung in Textform oder durch schriftliche Stimmabgabe geschaffen und dies auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter. In Textform bedeutet, dass Schriftlichkeit ist nicht erforderlich ist. Die Textform nach § 126b BGB ermöglicht anstelle einer eigenhändig unterschriebenen Erklärung, die im Original zugehen muss, auch eine Stimmabgabe z. B. durch E-Mail und Telefax.


Virtuelle Versammlungen und Beschlussfassungen außerhalb von Versammlungen

In Genossenschaften und Vereinen können vorübergehend auch ohne entsprechende Satzungsregelung Versammlungen ohne physische Präsenz im Wege elektronischer Kommunikation (sogenannte „virtuelle Versammlungen“) durchgeführt oder Beschlüsse außerhalb von Versammlungen gefasst werden. Der Vorstand der Genossenschaft hat in diesem Fall dafür zu sorgen, dass der Niederschrift gemäß § 47 des Genossenschaftsgesetzes ein Verzeichnis der Mitglieder, die an der Beschlussfassung mitgewirkt haben beigefügt ist. Bei jedem Mitglied, das an der Beschlussfassung mitgewirkt hat, ist die Art der Stimmabgabe zu vermerken. Die Anfechtung eines Beschlusses der Generalversammlung kann unbeschadet der Regelungen in § 51 Absatz 1 und 2 des Genossenschaftsgesetzes nicht auf Verletzungen des Gesetzes oder der Mitgliederrechte gestützt werden, die auf technische Störungen im Zusammenhang mit der Beschlussfassung nach Satz 1 zurückzuführen sind, es sei denn der Genossenschaft ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Die Einberufung kann auf der Internetseite der Genossenschaft oder durch unmittelbare Benachrichtigung in Textform erfolgen. Sitzungen des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft sowie gemeinsame Sitzungen des Vorstands und des Aufsichtsrats können auch ohne Grundlage in der Satzung oder in der Geschäftsordnung im Umlaufverfahren in Textform oder als Telefon- oder Videokonferenz durchgeführt werden.


Für die Vereine sind auch kombinierte Beschlussfassungen gestattet, so dass ein Teil der Mitglieder oder Vorstandsmitglieder an einem bestimmten Ort zusammenkommt und andere Mitglieder an der Mitgliederversammlung im Wege elektronischer Kommunikation teilnehmen. Den nicht an der Versammlung teilnehmenden Mitgliedern kann gestattet werden, ihre Stimmen schon vor Beginn der Mitgliederversammlung gegenüber dem Verein abzugeben, damit sie bei der Beschlussfassung in der Mitgliederversammlung berücksichtigt werden können. Im Umlaufverfahren, d.h. gänzlich ohne Versammlung, können Beschlüsse derzeit mit der erforderlichen Mehrheit nach dem Gesetz oder der Satzung getroffen werden – Voraussetzung für die erlaubte Abweichung von § 32 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist dafür aber stets, dass alle Mitglieder des Vereins an der Beschlussfassung beteiligt wurden, bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde teilnehmen.





Amtszeiten von bestellten Organen Für Genossenschaften, Vereine, Stiftungen und Wohnungseigentümergemeinschaften wurde geregelt, dass vorübergehenden bestimmte Organbestellungen (z.B. Vorstand und Aufsichtsrat) trotz eigentlich geregeltem Ablaufdatum im Jahr 2020 fortbestehen, sofern neue Organmitglieder nicht bestellt werden können. Auch die Anzahl der Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft darf weniger als die durch Gesetz oder Satzung bestimmte Mindestzahl betragen.

Erkennbar gelten die vorgenannten Sonderregelungen nicht für alle Rechtsformen und auch nicht für alle Fälle und sämtliche Vorgehensweisen. Zu Risiken und Nebenwirkungen einer geplanten - von den Statuten abweichenden - Beschlussfassung fragen Sie daher bitte Ihren Rechtsanwalt.


Stefan Palaschinski

Fachanwalt für Handels-und Gesellschaftsrecht







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