Gerichtliche Kinderschutzmaßnahme ist kein Eltern-Bashing: OLG Frankfurt stellt klar
- Sophie K. Palaschinski
- 4. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
In einem aktuellen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt (29.01.2025 – 1 UF 186/24) hat das Gericht klargestellt, dass gerichtliche Entscheidungen über kinderschutzrechtliche Maßnahmen nicht als reaktive Sanktion gegenüber den Eltern zu verstehen sind. Vielmehr stehen bei solchen Entscheidungen ausschließlich das Wohl und der Schutz des Kindes im Vordergrund.

Hintergrund des Falls: Sorgekonflikt eskaliert in gerichtliche Maßnahme
In der Sache hatten sich die verheirateten Eheleute und Eltern von drei Kindern im Jahr 2022 getrennt und die elterliche Sorge zunächst weiterhin gemeinsam ausgeübt, wobei die Kinder den Lebensmittelpunkt im Haushalt der Mutter hatten. Eine einvernehmliche Regelung über die Umgangsregelung zu finden, gestaltete sich schwierig. Im Zuge dessen wurden bereits mehrere gerichtliche Verfahren geführt. Eine zufriedenstellende Lösung konnte gleichwohl nicht gefunden werden. Es kam insofern im Rahmen der Übergaben der Kinder an den Vater für dessen Umgang mit den Kindern auch immer wieder zu ausgeprägten Konfliktsituationen zwischen den Eltern.
Im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung wurden mehrere Sachverständigengutachten eingeholt. Eine der Sachverständigen brachte schließlich den Vorschlag einer temporären Fremdunterbringung auf. Es konnte im parallel geführten Verfahren über den Umgang des Vaters mit den drei Kindern eine Umgangsregelung gefunden werden.
Das zuständige Jugendamt informierte die Eltern am Folgetag darüber, dass sich eine Möglichkeit zur Vorstellung in einer Wochengruppe ergeben habe, in die alle Kinder gemeinsam umziehen könnten. Beides lehnte die Mutter ab, woraufhin der Vater die Übertragung der alleinigen Sorge auf Ihn beantragte. Nach Anhörung der Beteiligten erging schließlich ein Beschluss des erstinstanzlich zuständigen Familiengerichts, mit dem beiden Elternteilen die elterliche Sorge in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmung, schulische Angelegenheiten sowie Beantragung von Hilfen zur Erziehung und übertrug die entsprechenden Sorgerechtsteile auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger. Das Jugendamt leitete umgehend den Umzug der Kinder in die Wochengruppe ein.
Die Überprüfung der Entscheidung durch das OLG Frankfurt
Der erste Senat des OLG Frankfurt am Main hörte im Beschwerdeverfahren über diese Entscheidung des Familiengerichts die Eltern sowie die Kinder an. Nach entsprechenden Hinweisen des Senats kehrten die Kinder wieder in den Haushalt der Mutter zurück. Die Sorge für die Kinder wurde hiernach wieder auf die Eltern übertragen.
Voraussetzungen für gerichtliche Kinderschutzmaßnahmen
In seiner Entscheidung führte das Gericht ausführlich zu den Voraussetzungen für die Ergreifung von Maßnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB aus. Zielrichtung des § 1666 Abs. 1 BGB ist die Möglichkeit des Familiengerichts, Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung einer Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls eines Kindes oder seines Vermögens erforderlich sind und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Im Rahmen der Auswahl der gerichtlichen Kinderschutzmaßnahmen ist insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 1666a Abs. 1 S. 1 BGB zu beachten. Für eine Fremdunterbringung bedeutet dies konkret, dass auch die negativen Folgen einer solchen Unterbringung in die Entscheidung einzubeziehen sind. Auch der Kindeswille spielt eine Rolle bei der Entscheidungsfindung des Gerichts.
Gerichtliche Kinderschutzmaßnahme darf nicht als Sanktion missverstanden werden
Nach Auffassung des Rechtsmittelgerichts wurden diese strengen Anforderungen vorliegend nicht hinreichend berücksichtigt. Dabei führte der Senat unter anderem im Rahmen der Verhältnismäßigkeitserwägungen aus, dass die Entscheidung nicht ausreichend die einzelfallbezogenen Umstände berücksichtigen. Beispielsweise würden wesentliche Beiträge der Konfliktdynamik zwischen den Eltern auf die Mutter zurückgehen. Dahingehend stellte das Gericht fest:
„Maßstab und Ziel einer Sorgerechtsentscheidung kann jedoch nicht der Ausgleich persönlicher Defizite zwischen den Eltern oder die Sanktionierung vermeintlichen elterlichen Fehlverhaltens – sondern allein das Kindeswohl – sein. Soweit erkennbar besteht nach derzeitigem Stand der Fachwissenschaft schließlich kein empirischer Beleg für die Wirksamkeit einer Herausnahme des Kindes aus dem Haushalt des angeblich manipulierenden, entfremdenden Elternteils (vgl. insoweit erneut BVerfG FamRZ 2024, 278; Zimmermann/Fichtner/Walper/Lux/Kindler, ZKJ 2023, 43-49 und 83-89 m.w.N.)"
Nach Auffassung des OLG war auch in Anbetracht der zwischenzeitlich deutlich positiven Entwicklung der Eltern, die unter anderem Hilfsangebote wahrnahmen und an einer Verbesserung ihrer Kommunikation arbeiteten, den Eltern das gemeinsame Sorgerecht zurückzuübertragen.
Schutzauftrag und kein Sanktionierungscharakter
Das Gericht machte insofern deutlich, dass gerichtliche Eingriffe, insbesondere in dieser Intensität, streng anhand der Maßgaben des Kindeswohls erfolgen und nicht etwa dazu dienen, elterliches Fehlverhalten zu bestrafen. Das OLG Frankfurt betont damit den präventiven und schützenden Charakter familiengerichtlicher Maßnahmen: Sie sollen Kinder schützen, nicht Eltern sanktionieren. Die elterlichen Rechte können eingeschränkt werden, wenn dies notwendig ist, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten. Die Maßnahmen sind daher nicht reaktiv auf ein Fehlverhalten der Eltern, sondern proaktiv auf die Bedürfnisse und das Wohl des Kindes ausgerichtet.
Zur ausführlichen Entscheidung des Gerichts: OLG Frankfurt a. M. (1. Senat für Familiensachen), Beschluss vom 29.01.2025 – 1 UF 186/24, BeckRS 2025, 1834, beck-online.