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  • AutorenbildKai Surmann

Onlineunterricht: Datenverarbeitung im Beschäftigungskontakt

Mit Urteil vom 30. März 2023 – C-34/21 - hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass Art. 88 VO (EU) 2016/679 dahingehend auszulegen ist, dass eine nationale Rechtsvorschrift keine „spezifischere Vorschrift“ im Sinne von Absatz 1 dieses Artikels sein kann, wenn sie nicht die Vorgaben von Abs. 2 dieses Artikels erfüllt. Als weitere Konsequenz aus dieser Auslegung hat der EuGH weiterhin festgestellt, dass nationale Rechtsvorschriften zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten von Beschäftigten hinsichtlich der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten im Beschäftigungskontext unangewendet bleiben müssen, wenn sie nicht eben diesem Art. 88 I und II vorgegebenen Voraussetzungen und Grenzen beachten, es sei denn, sie stellen eine Rechtsgrundlage im Sinne von Art. 6 III DS-GVO dar, die eben den Anforderungen dieser Verordnung genügt.



Ein Laptop steht auf einen Tisch neben einer Tasse. Auf dem Bildschirm ist ein Onlineunterricht mit vielen Teilnehmern zu sehen.

Hintergrund des Urteils

Hintergrund dieses bemerkenswerten Urteils war eine Streitigkeit zwischen dem Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium und dem Hessischen Kultusministerium im Zusammenhang mit einem Livestreamunterricht.




Im Jahr 2020 hatte der Minister des Hessischen Kultusministeriums mit zwei Erlassen unteranderem festgelegt, dass Schülern, die aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht an einem Präsenzunterricht teilnehmen können, die Möglichkeit eingeräumt werden muss, am Unterricht im Wege eines Livestreams teilzunehmen. Voraussetzung hierfür war im Hinblick auf datenschutzrechtliche Fragestellungen eine Einwilligung der Schüler bzw. deren Erziehungsberechtigter, nicht jedoch eine Einwilligung der Lehrkräfte.


Hier gegen wandte sich der Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium in einer Klage beim Verwaltungsgericht Wiesbaden.


Das Ministerium berief sich bei der Rechtfertigung seiner Erlasse auf landesrechtliche Vorschriften, hier insbesondere § 23 HDSIG, nach denen die Datenverarbeitung der personenbezogenen Daten der Lehrkräfte erforderlich sei und es insoweit keiner Einwilligung bedürfe.


Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hatte Bedenken an der Vereinbarkeit des § 23 HDSIG mit den Anforderungen des Art. 88 Abs. II DSGVO und legte das Verfahren dem EuGH zur Entscheidung vor.


Der Europäische Gerichtshof hat entschieden:

In seiner Entscheidung hat der EuGH zunächst klargestellt, dass der Beschäftigungsbegriff des Art. 88 DS-GVO alle Personen erfasst, die ihre Arbeit im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses zu ihrem Arbeitgeber und daher unter dessen Kontrolle erledigen. Im Beschäftigungsverhältnis steht eine Person immer dann, wenn sie während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Diese Merkmale sind sowohl im privaten, als auch im öffentlichen Sektor typisch. Hieraus folgert der EuGH, dass Art. 88 DS-GVO sich sowohl an die Privatwirtschaft, als auch an die öffentliche Hand richtet. Auf möglicherweise mitgliedstaatlich abweichende Beschäftigungsbegriffe kommt es nicht an.


Sodann hat der EuGH klargestellt, dass sämtliche mitgliedsstaatliche Spezialvorschriften zur DS-GVO dem Maßstab des Art. 88 DS-GVO genügen müssen, um eine Durchbrechung des Anwendungsvorrangs des gem. Art. 288 Abs. II AEUV unmittelbar geltenden Unionsrecht der DS-GVO zu bedingen.


Sollte der § 23 HDSIG den Anforderungen des Art 88 DS-GVO dementsprechend nicht genügen, müsste zur Rechtfertigung einer Datenverarbeitung der Lehrkräfte auf die allgemeinen Regelungen des Art. 6 Abs. 1 b) – f) DS-GVO zur Klärung der Frage, ob eine Datenverarbeitung der personenbezogenen Daten der Lehrkräfte zurück gegriffen werden.





2 Frauen lächeln

Dies dürfte aller Voraussicht nach zur Folge haben, dass auch seitens der Lehrkräfte eine Einwilligungserklärung erforderlich gewesen wäre und sich das Ministerium zur Rechtfertigung des Datenverarbeitungsvorgangs nicht auf eine landesrechtliche Spezialvorschrift berufen kann.


Die Entscheidung des EuGH ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert, zum einen stellt sie klar, dass die DS-GVO nicht zwischen Beschäftigungsverhältnissen im privaten und öffentlichen Sektor unterscheidet. Zum Anderen dürfte sich letztendlich aus ihr ableiten lassen, dass man sich für die Frage der Rechtfertigung von Datenverarbeitungs-vorgängen personenbezogener Daten aller Voraussicht nach nicht auf landesrechtliche Spezialvorschriften wird berufen können, sondern die allgemeinen Maßstäbe des Art. 6 DS-GVO heranziehen muss.


Dies wiederum dürfte zur Folge haben, dass es eine Interessenabwägung und letztendlich einer Einwilligungserklärung auch der (abhängig Beschäftigten) Lehrkräfte für Online-Veranstaltungen bedarf.

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